ADHS im Erwachsenenalter: Geschichte einer Patientin

ADHS im Erwachsenenalter: Geschichte einer Patientin

Melanie hat ihre ADHS-Diagnose erst vor einem Jahr erhalten. Schon immer begleitete sie das Gefühl, irgendwie anders zu sein als die andern. Doch lesen Sie hier, was die zwanzigjährige Detailhandelsangestellte selbst zu sagen hat:

«Ich spürte schon jahrelang eine innere und äussere Unruhe. Innerlich konnte ich mich schlecht konzentrieren, war rasch abgelenkt. Nur schon eine Fliege im gleichen Raum brachte mich aus dem Konzept. Manchmal vernahm ich Störgeräusche in meinem Kopf, die kamen und gingen, den ganzen Tag lang, ohne dass ich etwas dagegen hätte machen können. Äusserlich konnte ich kaum stillsitzen, war dauernd in Bewegung und tätigte häufig unnötige Impulskäufe. Seit ich Ritalin nehme, gelingt es mir schon bevor ich an der Kasse stehe zu überlegen, ob ich dieses Meerschweinchen samt Käfig oder jene Bergsteigerschuhe wirklich brauche und kaufen will. Zudem kann ich mich besser konzentrieren, erledige eine Aufgabe nach der anderen und bin dadurch im Endeffekt viel effizienter in allem. Die äussere Unruhe ist heute stärker als die innere, deshalb gehe ich regelmässig ins Fitness und im Winter fröne ich so oft wie möglich meiner Passion, dem Snowboarden.

Als ich noch zur Schule ging, hatte ich ziemlich grosse Lernprobleme und konnte schlecht an einer Aufgabe dranbleiben. Weder meine Mutter noch die Lehrer reagierten – alle dachten, ich sei einfach faul und würde absichtlich nicht aufpassen und den Unterricht stören. Mein impulsives Verhalten half mir nicht, Freunde zu finden, ganz im Gegenteil, ich wurde oft mit gemeinen Sprüchen runtergemacht. Bestimmt wäre es für mich, aber auch für mein Umfeld, einfacher gewesen, wenn ADHS schon damals bei mir festgestellt worden wäre. Als ich 19 Jahre alt war und die ADHS-Diagnose schliesslich gestellt wurde, war eigentlich niemand erstaunt darüber, ausser mir selber. Als ich mich dann aber mit den typischen Symptomen beschäftigte und darüber nachdachte, wie ich in bestimmten Situationen reagiere, war mir klar, dass die Diagnose stimmen musste. Es half mir, dass das Gefühl, anders zu sein, einen Namen bekam und ich damit nicht alleine war. Ich erfuhr, dass es Mittel und Wege gibt, mit denen es mir wieder bessergeht. Das war sehr befreiend und ist es heute noch. Inzwischen bin ich schon seit gut fünf Wochen auf der Psychotherapiestation Pünt Nord für junge Erwachsene bei der Clienia in Littenheid. Ich fühle mich hier sehr gut aufgehoben, werde unterstützt und verstanden. In den nächsten Wochen meines Klinikaufenthaltes werden wir uns unter anderem auch um meine Zukunftspläne kümmern. Ziel ist, dass ich eine Tätigkeit, einen Beruf, finden kann, der sich mit meiner Diagnose verträgt. Vielleicht eine Weiterbildung? Energie habe ich ja genug. Trotzdem gilt: Step by step!

Wenn ich ADHS-Betroffenen einen Ratschlag geben müsste, würde ich ihnen sagen, dass sie ihre eigenen Erfahrungen machen und sich durch diese Diagnose nicht verunsichern lassen sollen. Der Umgang mit der Krankheit ist zwar nicht einfach, aber wie überall hat auch diese Medaille eine Kehrseite. ADHS hat nämlich durchaus auch Vorteile: Mit mir wird es zum Beispiel nie langweilig, ich kann Menschen stundenlang unterhalten und amüsieren. Zudem bin ich sehr sensibel und kann mich dadurch ausserordentlich gut in Menschen und Situationen einfühlen. Ich nehme viele Dinge wahr, die andere nicht beachten: eine Biene auf der Blume, ein formschöner Stein am Wegrand. Ausserdem brauche ich keine Ovomaltine, um länger aktiv zu sein.»

Teil 1: Symptome
Teil 2: Ursache und Diagnose
Teil 3: Behandlung

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