Eva Baumgartner* ist Mitte siebzig. Früher arbeitete sie als Primarlehrerin. Sie ist eine kreative Person, bastelt und musiziert gerne; ihr Garten bedeutet ihr viel. Momentan ist sie zur Behandlung einer Depression auf der Privatstation in Littenheid. Der Begriff «Altersdepression» bereitet ihr Mühe, denn sie fühlt sich überhaupt nicht alt.
Der Beginn ihres psychischen Leidens liegt schon über 20 Jahre zurück. Damals wurde die leidenschaftliche Wintersportlerin von einem Skifahrer gerammt. Sie stürzte schwer und rutschte 300 Meter in die Tiefe. Ihre Verletzung war so gravierend, dass zuerst das eine und später auch das andere Kniegelenk durch künstliche ersetzt werden mussten. Nach einer späteren Fussoperation musste Eva lange Zeit an Stöcken gehen. Dadurch entstand eine überdurchschnittliche Belastung der Schulter, die sie, auch wegen Arthrose, ebenfalls durch ein künstliches Gelenk austauschen musste. Eva erlebte die vielen Operationen und die darauffolgenden langen Erholungs- und Reha-Phasen als sehr traumatisierend.
Dazu kam in den letzten Jahren ihrer Berufstätigkeit eine Burnout-Diagnose. «Eine leitende berufliche Stellung, die Familie mit Ehemann und zwei Kindern, ein grosses Haus mit Garten, viele Freundinnen, soziale Verpflichtungen: ich habe alle damit verbundenen Aufgaben gern gemacht. Doch letztlich war es einfach schon viel zu lange viel zu viel», resümiert Eva heute sachlich. Nach ihrem Zusammenbruch verbrachte sie fünf Wochen in einer Reha-Klinik. Der Leiter der Schule, bei der sie tätig war, wollte, dass Eva, die sich sehr über ihren Beruf definierte, nicht mehr an ihren Arbeitsplatz zurückkehrte. «Er wollte mich schonen, aber für mich war es keine Erleichterung, sondern eine Belastung», erinnert sie sich ohne Bitterkeit. Seither leidet Eva an depressiven Episoden, die mehrere stationäre und langjährige ambulante Behandlungen mit sich zogen – die letzte vor wenigen Wochen. «Ich blieb morgens im Bett liegen, konnte weder aufstehen noch etwas essen. Meine Familie machte sich grosse Sorgen und brachte mich nach Littenheid.» Erst seit einigen Tagen geht es Eva wieder besser. Sie freut sich darauf, bald wieder nach Hause zurückzukehren. Es ist geplant, dass sie nach ihrem Austritt die Clienia-Tagesklinik in Frauenfeld besucht und sich auch weiterhin in ambulante Behandlung begibt.
Selbst hatte Eva nie das Gefühl, überlastet zu sein, ihre Energie reichte jeweils für zwei. Heute verplant sie ihre Zeit sorgfältiger und schaut darauf, ihren Kalender nicht zu voll zu packen, genügend Pausen einzulegen und sich Ruhezeiten einzurichten. Der Zugang zur Kreativität hilft ihr beim Verarbeiten des Erlebten: Sie arbeitet in der Maltherapie an einem Buch über die Situationen und Stationen ihres bisherigen Lebens.
*Name geändert
Teil 1: Symptome einer Altersdepression