Im grüblerischen Denkprozess fokussieren sich die betroffenen Personen stark auf ihre Symptome. Im zweiten Beitrag beschreiben wir, weshalb Betroffene dies tun und welche Auswirkungen dieser Denkprozess auf die psychische Gesundheit haben kann.
Wie bereits in Teil 1: Einführung beschrieben, prägte Susan Nolen-Hoeksema den Begriff des Grübelns (engl. rumination). In einer ihrer ersten Studien lud sie sowohl depressive als auch nicht-depressive Student/-innen ein, um an einem Versuch teilzunehmen. Sie bat eine Gruppe aus depressiven und nicht-depressiven Teilnehmenden, ihre Aufmerksamkeit auf ihre eigenen Gefühle (Grübeln) zu richten. Die andere Gruppe wurde instruiert, sich auf einen bekannten Ort zu fokussieren (Ablenkung). Bei den nicht-depressiven Student/-innen zeigte sich in beiden Bedingungen – also mit Fokus auf die eigenen Gefühle oder mit Fokus auf eine Ablenkung – keine Veränderung der Gefühlslage. Jedoch berichtete Nolen-Hoeksema, dass bei depressiven Teilnehmenden der grüblerische Denkprozess die depressive Stimmung verschlechterte, während die Ablenkung die Stimmung nicht veränderte. Seit dieser Originalstudie von Susan Nolen-Hoeksema konnten diverse Studien den Effekt replizieren, dass der grüblerische Denkprozess die depressive Stimmung verschlechtert. Darüber hinaus erhöht das Grübeln tendenziell das Risiko des Auftretens einer neuen depressiven Episode. Die Neigung zum Grübeln steht auch mit der Persistenz depressiver Episoden in Zusammenhang, wobei ein höheres Mass an Grübeln mit einer längeren Dauer der depressiven Episode verbunden ist. Zuletzt steht intensives Grübeln auch im Zusammenhang mit einer späteren Remission und einer geringeren Wahrscheinlichkeit, überhaupt eine Remission zu erreichen.
Insgesamt scheinen grüblerische Patient/-innen in einen Teufelskreis zu geraten, der sich wie folgt manifestiert: Eine betroffene Person, die negative Gefühle und depressive Symptome erlebt, neigt dazu, sich zu sehr damit zu beschäftigen, um den negativen Affekt und die depressiven Symptome herunter zu regulieren. Demnach ist der Fokus auf die eigene Gefühlslage eine dysfunktionale Strategie, die eigenen Emotionen zu regulieren. Jedoch scheitert dieser Regulationsversuch oftmals und die Patient/-innen können oftmals ihre Problematik nicht alleine lösen. Infolgedessen können sich die Konzentration (weil man sich ständig auf die eigenen Gefühle fokussiert) und die Motivation verschlechtern. Dadurch wird die Diskrepanz zwischen der aktuellen (Ist-) und der gewünschten (Soll-)Situation deutlicher, was den negativen Affekt und die depressiven Symptome verstärkt. Die verstärkten psychopathologischen Symptome führen anschliessend wieder dazu, dass die betroffene Person sich damit auseinandersetzt – und der Teufelskreis nimmt seinen Lauf. Es gibt auch weitreichende körperliche Folgen des Grübelns, wie zum Beispiel Schlaflosigkeit, Psychose-Symptome und stärkere Stressreaktionen.
Das Grübeln kann aber auch im Prozess der Psychotherapie als hinderlicher Faktor hervortreten. Denn Patient/-innen mit einem hohen Grad an Grübeln scheinen weniger in der Lage zu sein, Ideen vollständig zu verarbeiten oder einen Verhaltensplan umzusetzen. Ausserdem wird das Grübeln mit schlechteren Problemlösungs- und Konzentrationsfähigkeiten in Verbindung gebracht. Forscher/-innen fanden heraus, dass Personen mit einer Tendenz zum Grübeln weniger Energie und Motivation haben, ein Problem zu lösen, und daher auch weniger Massnahmen hierzu ergreifen. Sie sind oftmals weniger in der Lage, spezifische Informationen oder Details abzurufen, die zur Lösung eines Problems erforderlich sind. Starke Grübler zeigen sich auch weniger optimistisch, was ihre Fähigkeit zur Problemlösung angeht. Demnach scheint der grüblerische Denkprozess eine effektive Problemlösung zu beeinträchtigen.
Diese Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig es ist, das Grübeln als Risikofaktor für einen schlechteren Krankheitsverlauf anzusehen. Denn folglich kann das Grübeln die Psychotherapie initial beeinträchtigen und somit indirekt die Persistenz der Depression beeinflussen.
Zusammenfassend handelt es sich beim Grübeln um einen maladaptiven und sich wiederholenden Denkprozess, der scheinbar die Probleme der Patient/-innen lösen sollte, jedoch zur Verstärkung und Aufrechterhaltung depressiver Symptome und zur Beeinträchtigung der Lebensqualität der betroffenen Personen beiträgt sowie einen komplizierenden Faktor in der Psychotherapie darstellen kann. Daher wird dem grüblerischen Denkprozess eine entscheidende Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Depressionen zugesagt.