Im Gespräch über Arbeit und Gesundheit fallen schnell die Schlagworte „Burnout“, „Stress“ oder „Krankschreibung“. Darüber, wie Arbeit helfen kann, gesund zu werden, sprechen wir selten.
Rund vier Prozent der Schweizer Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter hat im Jahr 2022 eine IV-Rente bezogen. Die Hälfte dieser Renten wurden aufgrund einer psychischen Erkrankung vergeben. In der Ökonomie wird seit gut zwanzig Jahren ein Anstieg der Absenzen und Arbeitsunfähigkeitsfälle im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen beobachtet. Der Schluss liegt nahe, dass psychische Erkrankungen in unserer Gesellschaft zugenommen haben. Fundierte epidemiologische Studien finden keinen Beleg dafür. Es ist vielmehr anzunehmen, dass Betroffene im Falle einer Erkrankung nicht mehr nur körperliche Symptome in den Vordergrund stellen, sondern auch psychische Beschwerden ansprechen bzw. vom Hausarzt danach gefragt werden. Diese Entwicklung hat durchaus auch Vorteile, da hierdurch psychische Erkrankungen eher erkannt und korrekt behandelt werden können. Der Rückgang der Suizidrate in der Schweiz sollte in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben. Insbesondere das Konzept „Burnout“ hat im Zuge der veränderten Wahrnehmung psychischer Erkrankungen viel mediale Aufmerksamkeit erhalten, wenngleich es sich beim Burnout nicht um eine in den gängigen Klassifikationssystemen psychischer Erkrankungen anerkannte Diagnose handelt. Während es wichtig ist, körperlich und seelisch belastende Arbeitssituationen anzuerkennen, zu thematisieren und zu verändern, darf Arbeit im gleichen Zug nicht auf ihre krankheitsfördernden Aspekte reduziert werden. Arbeit sichert uns finanzielle Mittel. Mit ihr entsteht unsere Tagesstruktur, wir können Sinn in einer Tätigkeit empfinden, ordnen uns und andere in der Gesellschaft sozial ein und bauen soziale Kontakte auf.
Arbeitslosigkeit als Gesundheitsrisiko
Während der Wirtschaftskrise 2008 wurde mit dem Anstieg der Arbeitslosenquote auch eine steigende Suizidrate beobachtet. Belegt ist dies durch eine Studie (Nordt, Kawohl et al. 2015), die Daten aus 63 verschiedenen Ländern analysiert hat. Dabei stieg die Zahl der Suizide schon ein halbes Jahr vor dem Jobverlust. Bereits die Aussicht darauf, den Arbeitsplatz zu verlieren, führte zu mehr Suiziden. Besonders stark stiegen die Suizide während der Wirtschaftskrise in Regionen, die sonst eine tiefe Arbeitslosigkeit aufweisen. Es wird vermutet, dass die besonders ausgeprägte gesellschaftliche Erwartung, einen Beruf im allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben, ein Grund dafür sein könnte. Da psychisch erkrankte Personen oft bereits ein erhöhtes Suizidrisiko haben, kumulieren sich diese Risiken bei Eintritt in die Arbeitslosigkeit.
Den Arbeitsplatz erhalten
Entsprechend gibt es zahlreiche Bemühungen, bereits früh zu intervenieren und Arbeitsplätze zu erhalten, bevor es überhaupt zum Jobverlust kommt. Im Rahmen des Arbeitsplatzerhalts können Betroffene, unterstützt durch Fachpersonen, gezielt Kontakt zum Arbeitgeber aufnehmen. So werden die Aufgaben oder der Arbeitsplatz auf besondere Bedürfnisse angepasst. Unter bestimmten Voraussetzungen kann zudem eine Umschulung in einen anderen Beruf finanziert werden.
Wieder in den Arbeitsmarkt einsteigen
Trotz dieser Frühinterventionen ist nur ein Viertel der Personen mit diagnostizierter psychischer Erkrankung im allgemeinen Arbeitsmarkt tätig. Dies, obwohl Befragungen ergeben haben, dass viele von ihnen gerne im ersten Arbeitsmarkt arbeiten würden. Der Arbeitsmarkt wird dabei unterteilt in den allgemeinen „ersten Arbeitsmarkt“, den sogenannten „zweiten Arbeitsmarkt“ mit geschützten Werkstätten für Menschen mit Beeinträchtigung und den „dritten Arbeitsmarkt“ mit Freiwilligenarbeit und ehrenamtlicher Tätigkeit. Je länger eine Person von ihrem Arbeitsplatz fernbleibt, desto geringer werden ihre Chancen für einen beruflichen Wiedereinstieg in den ersten Arbeitsmarkt. Dies ist in Studien gut belegt. Es ist deshalb zentral, dass Ärztinnen und Ärzte wie auch die Betroffenen selbst sich dieser Problematik beim Ausstellen von Krankschreibungen bewusst sind. Bereits vor der Krankschreibung muss überlegt werden, was die krankgeschriebene Person benötigt, um möglichst zeitnah an ihren Arbeitsort zurückzukehren.
First place, then train
Bis Anfang der neunziger Jahre funktionierte die berufliche Wiedereingliederung nach dem Prinzip „first train, then place“. Erst durchlief der Arbeitssuchende ein Trainingsprogramm, anschliessend wurde ihm eine Stelle vermittelt. Dann kamen zwei Wissenschaftler und drehten das Prinzip um. „First place, then train“ - so schnell wie möglich zurück in die Arbeitswelt, um dort, unterstützt durch Job Coaching, gezielt an konkreten Problemen zu lernen. Die Wissenschaftlerinnen Deborah Becker und Robert Drake nannten diese Form des Supported Employment „Individual Placement and Support“ (SE-IPS). Bald zeigten Studien in den USA wie auch in der Schweiz: Das umgekehrte Prinzip funktioniert. Und zwar besser als bisher. Der Arbeitsplatz war nicht mehr nur das Ziel, sondern wurde selbst zum Baustein, der zur Genesung beiträgt.
Mehr zum SE-IPS Job Coaching und seinen Besonderheiten steht im nächsten Beitrag.