Wie bereits in Teil 1: Symptome und Diagnose beschrieben, handelt es sich bei der Lese- und Rechtschreibstörung um eine überdauernde schulische Entwicklungsstörung, bei der die Lese- und Rechtschreibfähigkeit des betroffenen Kindes stark beeinträchtigt ist. Häufig weisen Betroffene auch Probleme in anderen schulischen Fähigkeiten, wie zum Beispiel beim Rechnen oder der Aufmerksamkeit auf. Die Beeinträchtigung der Lese- und Rechtschreibfähigkeit betrifft jedoch nicht nur die Schule, sondern wirkt sich auch negativ auf die alltäglichen Aktivitäten aus. Aufgrund dieser Beeinträchtigung diverser Lebensbereiche geht die Lese- und Rechtschreibstörung mit einer hohen Krankheitslast einher und ist demnach ein Risikofaktor für weitere, zusätzliche psychische Störungen, wie zum Beispiel einer Depression oder Angststörung. Deshalb ist es wichtig, mögliche Ursachen einer Lese- und Rechtschreibstörung zu identifizieren, um frühzeitig eine Intervention beginnen zu können.
Obwohl die Ursachen einer Lese- und Rechtschreibstörung noch nicht vollumfänglich geklärt sind, scheinen verschiedene Faktoren eine wichtige Rolle zu spielen. Im Folgenden werden mögliche Einflussfaktoren beschrieben:
- Genetik
Bei der Entstehung der Lese- und Rechtschreibstörung scheinen genetische Faktoren eine besondere Rolle zu spielen. Die Bedeutung der Genetik als Ursache wird daraus geschlossen, dass die Lese- und Rechtschreibstörung mit einer familiären Häufung auftritt. Leidet ein Elternteil an einer Lese- und Rechtschreibstörung, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind ebenfalls davon betroffen ist, erhöht. Es wird geschätzt, dass die Erblichkeit der Lese- und Rechtschreibstörung bei bis zu 70 Prozent liegt. Bei dieser Zahl wird jedoch klar, dass der genetische Faktor nicht ein alleiniger Verursacher der Störung ist.
- Neurobiologie
Die Fähigkeit des Lesens und Schreibens ist eine Meisterleistung des Gehirns, das verschiedene Informationen miteinander integrieren muss. Bei betroffenen Kindern mit einer Lese- und Rechtschreibstörung konnte mit Hilfe von bildgebenden Verfahren festgestellt werden, dass sie eine geringere Gehirnaktivität in dem Areal aufweisen, das massgeblich an der Sprachverarbeitung mitbeteiligt ist. Die geringere Gehirnaktivität trägt dazu bei, dass die Wortwahrnehmung und -verarbeitung gestört ist. Ausserdem scheint sie auch den Erwerb des orthografischen Wissens, also die Regeln der Schriftsprache, zu beeinträchtigen.
- Psychosoziale Faktoren
Zuletzt scheinen auch die soziale Umgebung und das Netzwerk Risikofaktoren für eine Lese- und Rechtschreibstörung darzustellen. Betroffene Kinder lassen sich zwar in allen sozialen Schichten finden, dennoch kann sich ein geringer sozialer Status negativ auf die Lese- und Rechtschreibfähigkeit des Kindes auswirken. Die Eltern haben weniger Möglichkeiten, das Kind bei den Hausarbeiten und beim Lernen zu unterstützen. Auch ein unsystematischer Unterrichtsaufbau kann bei den Kindern mit einem erhöhten Risiko für eine Lese- und Rechtschreibstörung zu erheblichen Problemen führen. Nach heutigen Erkenntnissen wird davon ausgegangen, dass die soziale und schulische Unterstützung einen wesentlichen Einfluss auf den Verlauf der Störung haben kann.
Im dritten Teil beschäftigt sich dieser Blog mit der Frage, wie die Lese- und Rechtschreibstörung behandelt werden kann.