Panikstörung: Geschichte einer Patientin

Panikstörung: Geschichte einer Patientin

Martina* ist seit vielen Jahren in ambulanter und alle paar Jahre auch in stationärer psychiatrischer Behandlung, um ihre Depression in den Griff zu kriegen. Kurz vor Ausbruch der Pandemie kamen ein Burnout und eine sich bedrohlich anfühlende Angst- und Panikstörung hinzu.

«Mitte 2019 fühlte ich mich nach 14 Jahren endlich stabil genug, meine Therapie zu beenden. Doch es kam anders. Schon wenige Monate später entwickelte sich eine vermeintliche Magendarminfektion zu einem Desaster. Da ich bei meinem Job als MPA auf mich alleine gestellt war, schleppte ich mich krank in die Praxis. Während zwei Wochen erbrach ich mich immer wieder, dann kamen Heulattacken mit akuter Atemnot dazu, sogar während der Arbeit. Mein Psychiater schrieb mich schliesslich zu 50% krank. Insgesamt hatte ich so zwar weniger Patienten zu betreuen, aber die Administration blieb trotzdem gänzlich an mir hängen. Eine Weile funktionierte dies einigermassen gut – knappe vier Stunden konnte ich mich zusammenreissen und mein Elend vor den Patienten mehr schlecht als recht verbergen. Kurze Zeit später gelang es mir aber nicht mehr, in die Praxis zu gehen, ich musste mich schon frühmorgens übergeben. Die Panikattacken wurden stärker und stärker, zur Atemnot, die Todesangst in mir auslöste, kamen auch noch Ohrenpfeifen und komplette Unentschlossenheit dazu. So war ich nicht mehr in der Lage, bei der Fleischtheke zu entscheiden, was ich kaufen sollte. Ich stand über eine Stunde davor und rannte schliesslich unverrichteter Dinge und voller Panik nach Hause, an meinen sicheren Ort. So landete ich wieder in einer psychiatrischen Klinik. Obwohl die Therapeutinnen und die Pflegenden sehr freundlich waren, fühlte ich mich unwohl: zu viele Leute, zu grosse Gruppen, zu viele Stimmen, zu viel Input, zu viele bedrohliche Situationen und zu wenig beständige Bezugspersonen. Nach Rücksprache mit meinem ambulanten Psychiater brach ich den Aufenthalt in dieser Klinik ab, fuhr nach Hause und igelte mich dort ein.

Den einzigen Kontakt zur Aussenwelt hatte ich über meine Tochter, die mich ab und zu zum Spazierengehen abholte. Mein Mann stellte indessen immer nur Ansprüche an mich, anstatt mich zu unterstützen. Ganz starre Strukturen halfen mir, mich im Alltag einigermassen zurechtzufinden. Schon die kleinste Veränderung war aber ein Weltuntergang, zum Beispiel, wenn keine Petersilie mehr da war, um einen Kartoffelsalat zuzubereiten. Meine Gedanken hörten nicht auf zu kreisen, ich schlief schlecht, das Gefühl, nichts mehr auf die Reihe zu kriegen, verstärkte sich von Tag zu Tag. Entsprechend war auch mein Selbstwertgefühl am Boden. Ich mietete mir einen kleinen Schrebergarten in Gehdistanz zu meiner Wohnung. So war ich gezwungen, wieder rauszugehen. Im Sommer ging es dann wieder ein bisschen besser, ich freute mich über die blühenden Blumen in meinem Garten. Als die Tage kürzer wurden, kehrten die innere Anspannung und die Angstattacken zurück. Irgendwie fühlte es sich so an, als sei mein Filter kaputt, ich ertrug die Menschen höchstens einzeln. Mein Zustand war für mich selber absolut unberechenbar, nicht einmal tagesform-, sondern sogar stundenformabhängig. Das macht hilflos und wütend. Zum Glück hat mich die psychiatrische Spitex unterstützt und wertvolle Hilfe im Alltag geleistet, sei es beim Einkaufen oder beim Bezahlen von Rechnungen.

Ende des letzten Jahres nahm ich meinen ganzen Mut und die übriggebliebene Energie zusammen, kündigte meine Stelle und verliess meinen Mann. Um ihm bis zu seinem Auszug aus dem Weg zu gehen, übernachtete ich fortan bei meiner Tochter auf dem Sofa. Ich kam überhaupt nicht mehr zur Ruhe und hielt mich nur noch mit Atemübungen über Wasser. Die Krankenkasse verlangte von mir, dass ich an der Angst- und Depressionsgruppe im Kantonsspital teilnahm. Die Busfahrt war der reinste Horror und das Erbrechen fing wieder an. Im Februar dieses Jahres ging es mir schlechter und schlechter, so dass mein Psychiater mich zur Clienia Littenheid überwies. Mitte März konnte ich in eine Station der Akutpsychiatrie eintreten. Seither geht es mir zunehmend besser, ich fühle mich für voll genommen und werde mit Respekt behandelt.

In der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) habe ich erfahren, dass mein Monster zwar nicht verschwindet, ich es aber in Schach halten kann, so dass es nicht mehr so bedrohlich für mich ist. Auch die Expositionstherapie hilft mir sehr: Ich fahre regelmässig mit dem Bus nach Wil, zuerst in Begleitung meiner Therapeutin, und jetzt klappt es auch allein. Noch fühlt sich mein Gefüge zerbrechlich an und ich bin froh, dass mir noch ein bisschen Zeit in Littenheid zum Festigen der erlernten Skills bleibt. Ich freue mich aber auch auf meine Wohnung, die meine Tochter nach dem Auszug meines Mannes so umgestaltet hat, wie ich es immer gerne gehabt hätte. Ich weiss, dass meine Todesangst wieder akuter werden könnte, aber ich weiss auch, dass ich nicht daran sterben kann. In den vier Wochen, in denen ich jetzt hier bin, habe ich gelernt, Situationen auszuhalten anstatt zu flüchten. Ich übe, ohne schlechtes Gewissen nein zu sagen und mehr auf meine eigenen Bedürfnisse zu achten. Ich spüre wieder Boden unter meinen Füssen.»

*Name geändert

Teil 1: Symptome
Teil 2: Ursachen
Teil 3: Therapie

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