Die Trennung bzw. die Scheidung der Eltern erhöht das Risiko für die Entwicklung einer psychischen Störung bei Kindern und Jugendlichen um das Doppelte bis Dreifache. Studien aus kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken zeigen, dass ca. 40% der Betroffenen in einer Scheidungsfamilie aufwuchsen. Wie bereits in Teil 1: Einführung beschrieben, können sich die Verhaltensauffälligkeiten auch mehrere Monate bis Jahre nach der eigentlichen Trennung manifestieren. Bedeutende Risikofaktoren für die Entwicklung einer psychischen Störung scheinen dabei die mangelnde elterliche Sensitivität, dysfunktionale Erziehung und destruktive Partnerschaftskonflikte zu sein. Für die Kinder ist die Scheidung dabei eine für sie oft unerklärliche Katastrophe. Die Mehrheit der Kinder (82%) berichten aufgrund der Scheidung der Eltern von einer hohen Belastung. Bei etwa der Hälfte der Kinder bleibt diese Belastung hoch, während die restlichen Kinder eine Erholung im Verlauf der Zeit nachweisen. Die betroffenen Kinder mit hoher Belastung entwickeln dabei mit einer höheren Wahrscheinlichkeit eine psychische Störung. Im Vorschulalter (bis ca. 6 Jahre) zeigen die Kinder Symptome von Trennungsängsten, ängstliches Anklammern, Weinerlichkeit, Irritierbarkeit und psychosomatische Störungen. Im Grundschulter (ca. 6 bis 10 Jahre) zeigen sich dann vermehrt Schulprobleme, Konzentrationsprobleme, sozialer Rückzug, spezifische Ängste oder aggressives Verhalten. Im Jugendalter können Symptome von Depressionen bis hin zu Suizidversuchen auftreten. Im folgenden Beitrag wird die Behandlung von Kindern und Jugendlichen im Zusammenhang mit einer Scheidung beschrieben.
Zu Beginn jeder Therapie wird ein ausführliches, explorierendes Gespräch durchgeführt. Dabei ist es für die Therapieplanung wichtig, sowohl die Sichtweise des betroffenen Kindes als auch die Perspektive der Elternteile zu erfragen. Zusätzlich werden weitere Untersuchungen durchgeführt, um mögliche andere Ursachen – z.B. organische – auszuschliessen. Im Anschluss wird eine Diagnose erstellt. Häufige Diagnosen, die bei Kindern und Jugendlichen in Folge einer Trennung oder Scheidung gestellt werden, sind Anpassungstörungen, Somatoforme Störungen, Essstörungen und Störungen des Sozialverhaltens.
Die Behandlung basiert in der Regel auf einer Kombination von Einzelpsychotherapie und Familientherapie. Sie gestaltet sich in zwei Phasen: In der ersten Behandlungsphase liegt der Fokus auf der direkten Behandlung der diagnostizierten Störung. Dabei werden mögliche Ressourcen erarbeitet, ein funktionaler Umgang mit den Emotionen (Angst, Wut und Trauer) wird trainiert, und die positiven Aspekte der Trennung werden beleuchtet. Des Weiteren werden die Schuldgefühle oder der etwaige Loyalitätskonflikt therapiert. Jedoch genügt es in der Mehrzahl der Fälle nicht, nur das Syndrom zu behandeln. Denn die Störung des Kindes oder des Jugendlichen ist eine Summe von vielen Einflussfaktoren und stellt nur die Spitze des Eisberges dar. Deshalb wird in der zweiten Behandlungsphase an der Reduktion des Hintergrundstresses gearbeitet. Hier werden die Familienmitglieder eng mit in die Therapie miteinbezogen, um ein günstiges Interaktionsmuster zu erlernen. Die Bearbeitung des familiären Kontextes während der Therapie soll dazu beitragen, dass die Therapieerfolge nachhaltend in den Alltag übertragen werden und das Kind in Zukunft nicht mehr in eine Situation der Überforderung gerät.
Die Wirksamkeit einer psychotherapeutischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen in Folge einer Trennung oder Scheidung ist vielfach untersucht und wissenschaftlich belegt.
Die vielen Befunde von negativen Scheidungsfolgen hatte die Debatte entfacht, ob man zum Wohle des Kindes zusammenbleiben sollte. Jedoch zeigen Studienergebnisse hier, dass Kinder mit noch verheirateten Personen im Vergleich zu Kindern mit Scheidungserfahrungen ein schlechteres Wohlbefinden aufweisen, wenn die Eltern viele Partnerschaftskonflikte haben.
Ausserdem wurden verschiedene Schutzfaktoren identifiziert, die das Risiko für eine psychische Störung bei Kindern und Jugendlichen signifikant vermindern können. Der stärkste Schutzfaktor ist die soziale Unterstützung durch nahe Bezugspersonen. Weitere günstige Faktoren sind faire Kontaktregelungen, ein positives Co-Parenting und die Ressourcen der Kinder (wie hoher Selbstwert, gute Sozialkompetenzen und eine gute Integration in das soziale Netzwerk).
Im dritten Beitrag werden die Folgen einer Scheidung für die Familie beschrieben.